Bettina Jodda on Sat, 27 Dec 2003 14:29:35 +0100 (CET)


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Re: [rohrpost] txtrackz@rpt 19


Hallo, sab

Erstmal sorry - es hat etwas länger gedauert, Dir zu antworten.
Ich musste erst den X-Mas-Hangover überwinden :-)

Und ein Danke für das Interesse an unserer Seite.


On
Fri, 26 Dec 2003 13:08:08+0100 sab <sab@kein.org> sed

> hallo bettina,

Hallo.

> könntest du mal in der zwischenzeit was über "stop1984"
> erzählen? ganz besonders interessiert mich: "GEGEN DIE
> TOTALÜBERWACHUNG!" heiszt das im umkehrschluss, daß ein
> bisschen überwachung ok ist?

Vorab: ich spreche jetzt erstmal für mich, also bitte nicht als
hochoffizielles Statement von STOP1984 missverstehen :-)
Ich denke, dass bei der Überwachung, wie eigentlich bei allen
Aktionen es auf die "Dosis" ankommt und auf die Begründung für
eine angewandte Dosis.
Ich vergleiche das gerne mit DoS-Angriffen oder auch mit
Medikamenten. Wenn Du eine geringe Dosis eines Medikamentes gegen
eine bestimmte Krankheit anwendest, ist es in Ordnung, wenn Du
aber zuviel anwendest, wenn die Begründungen fadenscheinig werden
etc. wird es zum Problem.

Bei der Überwachung kommt es für mich auf daran an,
wer
warum
wo 
wie viel
überwacht.

Ein Beispiel:
Wenn Du statt eines Türspiones direkt über der Haustür eine
Videokamera hast, dann ist das Deine Sache. Ich muss Dich ja
nicht besuchen kommen, wenn mir das nicht gefällt. Vielleicht
traue ich Dir aber auch soweit, dass ich weiß, Du nimmst nichts
auf sondern schaust halt auf den Bildschirm, sagst "ach, ist nur
Twister" und machst die Tür auf.

Wenn ein Laden dazu übergeht, seine Geschäftsräume mit
Videoüberwachungstechnik auszustatten, so ist dies imho auch
seine Sache. Im Sinne der informationellen Selbstbestimmung
(plump gesagt: weil ich eben selbst Bescheid wissen will und muss
um reagieren zu können) möchte ich, dass mir dies vorher
mitgeteilt wird (z.B. durch große Hinweisschilder an der Tür),
dass ich erfahren kann (und ggf. auch schriftlich bestätigt
bekomme), dass nach 24 Stunden (höchstens) die Bilder gelöscht
werden, wer sich die Bilder ansehen darf etc.
Ich kann den Laden ja meiden.

Wenn aber ein öffentlicher Platz überwacht wird mit dem
fadenscheinigen Argument, dass es Taschendiebe gibt, dann sieht
das anders aus. Z.B. habe ich nicht immer die Möglichkeit, diesen
Platz zu meiden (Beispiel: Bushaltestellt, Bahnhof etc), außerdem
herrscht keine Transparenz etc. Und die Taschendiebe werden meist
trotz Kamera nicht gefasst.

Wenn jetzt alle Läden mit Kameras ausgestattet sind, dabei dann
auch noch gleich die Bürgersteige mit gefilmt werden, der
öffentliche Platz einem Big Brother-Szenario gleicht etc. wird es
mehr als problematisch. Insofern muss man da schon
differenzieren.


> dann fällt mir das hier auf: "die Gefahren des Missbrauches von
> Daten"; ganz besonders stört mich der begriff missbrauch. was
> ist ein missbrauch von daten und warum ist es nicht ein
> gebrauch?

"Miss" brauch ist für mich ein recht deutlicher Begriff.
"Gebrauch" bedeutet für mich den ordnungsgemäßen Gebrauch bzw.
den zweckgebundenen Gebrauch, "Miss" als negatives Wort
impliziert sehr schön, dass hier Daten entweder
- nicht mehr zweckbestimmt verwendet werden
- trotzdem sie mir vertraulich / geheim mitgeteilt wurden,
verföffentlicht werden
- an Dritte weitergeleitet werden

Ich versuche das mal zu erklären:
(bitte nicht hauen wegen der Beispiele, ich habe sie absichtlich
plakativ gewählt)

 a) Zweckbestimmung
Dein Arzt muss wissen, dass Du eine Geschlechtskrankheit hast um
Dir entsprechende Medikamente verordnen zu können (Gebrauch)
Deinen Arbeitgeber geht es nichts an, genauso wenig wie die
sensationsgeile Presse, die gerne den Aufmacher "Poppt unser
Bürgermeister zu viel" bringen würde (Missbrauch)

Prominenteres Beispiel:
Die LKW-Maut. Die Daten sollten zweckbestimmt nur für die
Abrechnung der Gebühren verwandt werden (Gebrauch), dennoch 
wollten die Strafverfolger sie haben (Missbrauch)

b) Vertrauensbruch
Deine Freundin weiß von Dir vielleicht, dass Du Probleme hast
wegen Deines zu kurzen Penis, sie reagiert darauf, indem sie z.B.
keine Sprüche in Form von "es kommt auf die Größe an" macht
(Gebrauch)
Wenn sie nun sämtlichen Deiner Freunde dies mitteilt (ach, der
hat halt nen Kurzen), so ist dies weder in Deinem Sinne noch das,
was Du damit erreichen wolltest, dass Du diese Info herausgegeben
hast (Missbrauch)

Etwas plakativer und weniger persönlich:

Ein Mann, der in seiner Firma Missstände aufdeckt und diese an
die Presse weiterleitet bzw. ein Informant, der etwas über eine
kriminelle Vereinigung weiß und dies an die Polizei weiterleitet,
der möchte, dass die Presse darüber berichtet (Gebrauch) oder die
Polizei aktiv wird (Gebrauch).

Er möchte sicherlich nicht, dass die Presse seinen Namen auf die
Titelseite setzt oder aber den Chef anruft "Hey, da versucht
einer, Deine Firma schlecht zu machen" (Missbrauch) oder dass die
Polizei den örtlichen Bandenchef auf den Informanten aufmerksam
macht (Missbrauch)

c) Weiterleitung an Dritte

Die Post muss von Dir die Adresse wissen da sie an Dich
gerichtete Post zustellt(Gebrauch). Das heißt aber nicht, dass
sie Deine Adresse jedem Adresshändler zur Verfügung stellen
sollte.(Missbrauch)

Ich zum Beispiel kenne Deine E-Mail-Adresse. Die muss ich auch
kennen, um Dir antworten zu können. Du hast sie zu diesem Zwecke
zur Verfügung gestellt (Zweckbestimmung). Das ist insofern auch
eine Art Vertrauen - diese E-Mail-Adresse in eine Mailingliste zu
schreiben(Vertrauensbruch). Sicherlich hast Du noch andere und
vorgesorgt für den Fall, dass Dich jemand zuspammt, Du hast die
Adresse aber nicht hier hineingestellt, damit ich sie in
sämtliche Mailinglisten, Newsletter etc. eintrage (Weiterleitung
an Dritte)

Kritisch wird es eben auch dann, wenn Daten einfach so verbunden
werden, die eigentlich getrennt bzw. zweckbestimmt gespeichert
werden sollten. Beispiel Rasterfahndung:
Student, zwischen 18 und 25, Muslim, studiert Maschinenbau.
Alles Daten, die man benötigt (Student = finanzielle
Vergüngstigungen...), zusammen reichten sie aber aus um Dich in
die Liste der "Potentiellen Terroristen" rutschen zu lassen.

Gebrauch von Daten ist notwendig - ich könnte Dir ohne Adresse
nicht antworten, die Post könnte keine Post zustellen, mein
Arbeitgeber könnte mir ohne Kontoangabe kein Geld überweisen etc.
Missbrauch ist mittlerweile leider an der Tagesordnung...


> und ist das hier nicht ein wenig springerpressen like?: Daher
> ist das Ziel dieser Seite, mit Aufklärung und Engagement
> Interesse und Bewusstsein zu fördern, durch Diskussionen im
> Forum zum Nachdenken anzuregen und somit die Basis für den
> "letzten Ausweg vor der Totalüberwachung" zu schaffen.

Das ist noch eine Altlast.
Obwohl dies recht melodramatisch ausgedrückt ist, halte ich es,
abgesehen von dem "letzten Ausweg..." (was anfangs mal unser
Slogan war, mittlerweile aber nicht mehr ist) doch für recht gut
formuliert, was wir wollen.
Die Basis für Veränderung ist Wissen, erst durch Wissen kann
Interesse, durch Interesse Engagement erwachsen.

Das ist auch das, was ich mit STOP1984 gerne erreichen möchte.
Dass zumindest weiterhin komprimiert Informationen weitergegeben
werden, dass sich Netzwerke ergeben etc.
Ob dies zu Real-Life-Aktionen führt, weiß ich nicht -
vielleicht ja, vielleicht nein. Man wird es sehen.

Aber bisher halte ich es zumindest für wichtig, dass man
den interessierten Leuten "Gedankenfutter" gibt und
vielleicht dadurch auch die bisher Uninteressierten
erreicht.

Entschuldige für das seeeeeeehr lange Post, ich wollte
gerade diese wichtigen Fragen nicht mit 1-2 Sätzen
abhandeln und hoffe, ich habe Dich und den Rest der Liste
nicht zu Tode gelangweilt.


Lieben Gruß nach dem Fest

Twister

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