geert lovink on Wed, 11 Jun 2003 00:39:31 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] Rudolf Maresch: Bin Ladin in Nike-Schuhen |
Bin Ladin in Nike-Schuhen Wie der Philosoph Norbert Bolz den 11.9. verarbeitet Rudolf Maresch, Telepolis, 08.06.2003 Vor einiger Zeit hat Robert Kagan in "Macht und Ohnmacht" Europa als posthistorisches Paradies von Frieden und relativem Wohlstand beschrieben, das der Realisierung von Kants "Ewigem Frieden" sehr nahe kommen soll. Dagegen blieben die Vereinigten Staaten der Geschichte verhaftet. Sie übten Macht in einer anarchischen Hobbesschen Welt aus, in der auf internationale Vereinbarungen und Regeln kein Verlass sei, Freiheit und Sicherheit aber vom Besitz und der Ausübung militärischer Macht abhingen. Von diesem Clash in den westlichen Beziehungen liest man im "konsumistischen Manifest", dem letzten Buch von Norbert Bolz, das im knalligem Ferrari-Rot daherkommt, nichts. Und vom US-Unilateralismus und seinen "Befreiungstheologen" ebenso wenig. Wo US-Amerikaner den Atlantik stetig breiter werden sehen und das "Ende des Westens" weissagen, dominiert bei Bolz noch die bekannte, einheitliche Idee vom Westen, die vom Ende der Geschichte, vom globalen Siegeszug des Liberalismus und der Demokratie sowie von der Stilllegung des Kampfes um Anerkennung geprägt wird. Das gemeinsame Band stiftet dabei weniger ein formales Rechtssystem, das auf verbindlichen Regeln, Normen und Prinzipien fußt und von Kooperation, Dialog und gegenseitigem Vertrauen getragen wird, als vielmehr ein liberales Markt- und Tauschsystem, das durch globale Waren-, Geld- und Kapitalströme beatmet und am Leben erhalten wird. Konsumiert mal schön! Derzeit wird dieses System von einem neuen Fundamentalismus herausgefordert: dem militanten Islam. Die Anschläge vom elften September hätten das eindrucksvoll gezeigt. Mit dem Sturz der Zwillingstürme seien laut Bolz auch etliche Gewissheiten des Westens in ihren Grundfesten erschüttert worden. Beispielsweise die wohlmeinende Vorstellung, dass Dialog und Toleranz gegenüber anderen Religionen, Ethnien und Kulturen zum schiedlich-friedlichen Ausgleich, zu mehr Frieden, Stabilität und Sicherheit in der Welt führen werde. Obendrein hätten die Anschläge deutlich gemacht, dass die Strukturen und Institutionen der vernetzten Weltgesellschaft noch nicht überall in der Welt verankert seien. Folglich gäbe es noch etliche Orte, Plätze und schwarze Löcher auf dem Planeten, in denen Gewalt und Fanatismus regierten und Pläne für Umstürze und blutige Attentate gedeihen könnten. Wer etwas dagegen tun möchte, Fanatiker, Terroristen und Gotteskrieger von ihrer Wut, ihrem Zorn und Hass auf "den Westen" heilen und von ihrem gewalttätigen Vorhaben abbringen wolle, der müsse vor allem "Risikostaaten mit dem konsumistischen Virus infizieren" und versuchen, sie in die westliche "Konsum- und Produktivgenossenschaft" (Carl Schmitt) einzugliedern. Gegen sie hülfe demnach nicht der westliche Universalismus der Menschenrechte, sondern zuallererst Anbindung an das Marktgeschehen sowie die rasche Verbreitung von Geld, Handel und Konsum in diesen Staaten. "Handel ist das funktionale Äquivalent zur Gewalt," meint Bolz selbstsicher. Wer Handel treibt und konsumiert, so schlussfolgert der Medienwissenschaftler, führt keine Kriege, von Waffen- und Drogenhändeln mal abgesehen. Konsumenten sind in aller Regel friedliebende Wesen. Sie schmeißen weder Bomben, noch kapern sie Flugzeuge oder schneiden anderen im Namen Gottes die Kehle durch. Der Konsumismus ist das Immunsystem der Weltgesellschaft gegen den Virus der fanatischen Religionen. Das ist die Kernthese des Buches. Nicht Religion, wie noch bei Marx, sondern "wirtschaftlicher Erfolg" ist Opium für Fanatiker. Er coolt Leidenschaften, besänftigt heiße Gemüter und führt Feindschaften in Kundschaftsverhältnisse über. Politische Nullität Die neutralisierenden, entpolitisierenden und zivilisierenden Effekte des Marktsystems gegen das Politische auszuspielen oder stark zu machen, ist ein alter Hut. Sie ist eine Lieblingsidee des individualistischen Liberalismus, um "das Maßgebende" des Politischen zu negieren und den Staat der Suprematie des Ökonomischen zu unterwerfen. Nach Carl Schmitt verändert und denaturiert dieser Gedanke "alle politischen Vorstellungen" in "systematischer Weise". Seine Heimstatt findet er dort, wo der Bourgeois laut Hegel der Todesbereitschaft adé sagt und als Preis oder "Ersatz für seine politische Nullität [...] die vollkommene Sicherheit des Genusses" sucht: das problemlose Glück des reinen Konsums. Dem Bourgeois bleibt so der Nachweis seiner Tapferkeit und seines Heldentum sowie die "Gefahr eines gewaltsamen Todes" erspart. An die Stelle des Helden, der sich mutig und todesgewiss ins Kampfgetümmel wirft und leidenschaftlich für seine Sache ficht, tritt der rechnende Händler, der seine finanziellen Vorteile kühl abschätzt und die "Früchte des Friedens und des Erwerbes" genießen will. Käme es dazu, hätte die Menschheit "endlich ihre Formel gefunden, so wie die Biene ihre Formel im Bienenkorb gefunden hat." (Carl Schmitt). Angelsächsischer Geist Ursprünglich entstammt diese Idee dem angelsächsischen Sprachraum ( Wachsende Räume [1]). Zunächst haben sich britische Imperialisten ihrer bedient, um ihren Machtbereich nach Übersee auszuweiten. Der Philosoph Francis Bacon kann als einer der Initiatoren dieser Weltsicht angesehen werden. Später haben sich auch amerikanische Staatsmänner, namentlich George Washington, Alexander Hamilton, John Adams und Thomas Jefferson, darauf berufen. Lautstark lobten sie den Nutzen und die Frieden stiftenden Effekte des Marktes, des Tauschhandels und der Kommunikation. Obwohl sie Krieg gegen schwächere Völker auf dem nordamerikanischen Kontinent führten, priesen sie Ende des 18. Jahrhunderts gegenüber ihren stärkeren europäischen Gegnern die besänftigenden Wirkungen des Handels auf internationale Streitigkeiten. Damals schwuren sie, ähnlich wie es heute die europäischen Nationen gerne tun, der Macht ab. Sie verdammten Krieg und militärische Macht und stuften Einsatz und Ausübung von Gewalt als Mittel der Durchsetzung nationaler Interessen für historisch überholt ein. Dies zeigt, dass Markt, Kommerz und Kommunikation niemals Selbstzweck waren, sondern immer schon Vehikel des Politischen. Zweifellos hat der Kapitalismus im Laufe des letzten Jahrhunderts eine Reihe von Menschen wohlhabender und gesünder gemacht. Gewiss nicht alle, aber doch nicht ärmer oder kränker. So jedenfalls der Soziologe Johannes Berger [2] auf der "Worlds of Capitalism" Ende Mai in Hamburg. Auch wenn das Gefälle zwischen reichen und armen Ländern wächst, hat sich die Verelendungstheorie der Marxisten insgesamt doch als Rohrkrepierer erwiesen. Und hätten ehemalige Kolonisateure nicht versäumt, so jüngst ein Ökonom im Merkur [3], in ärmeren Ländern bei Zeiten eine funktionierende Marktwirtschaft einzurichten, ginge es diesen Völkern vielleicht wesentlich besser als es ihnen heute ergeht. Kapitalismus als Ersatzreligion Von dieser nützlichen und ganz praktischen Seite des Kapitalismus will Norbert Bolz allerdings nichts wissen. Ihn interessiert vielmehr dessen "essentiell religiöse Struktur", jene Heilsversprechen also, die Walter Benjamin Anfang letzten Jahrhunderts an ihm entdeckt und in einem Fragment beschrieben hat ( Kapitalismus ist Kult [4]). Danach ist der Kapitalismus "reiner Götzendienst", ein Kultus, der nonstop gepflegt wird, zwischen Schuld und Entschuldung hin und her oszilliert und vom Mammon des Geldes regiert und zusammengehalten wird. Wo der Kapitalismus Fuß fasst, garantiert "nicht mehr Gott, sondern Geld Weltsicherheit". Das Streben nach ihm ermöglicht den Verzicht auf authentische Motive und letzte Werte. Statt Hass und Gewalt regiert Habsucht, Geldgier und Kaufrausch. "Wo Geld die Welt regiert", schreibt Bolz, "bleibt uns der Terror von nackter Faust und guter Gesinnung erspart." Durch Markt, Preisbindung und Zahlungen verwandelt sich politischer Enthusiasmus in "wohltuende Neutralität". Darum akzeptiert auch "der prüde Hauseigentümer den Pornoshop in seiner Ladenzeile, und der rassistische Oberbürgermeister den Araber im Westend." Da Konsum, Luxus und Komfort, wie man weiß, auf Dauer zu Langeweile und Indifferenz führen, braucht der Markt stets "die Stimulation des Neuen". Das heißt, es müssen ständig neue Moden, Stile und Trends erfunden, Kunden und Konsumenten umgarnt und neue Begierden und Begehrlichkeiten in ihnen geweckt werden. Dem Kapitalismus gelingt das, indem er Gebrauchswerte symbolisch überhöht, sie mit Ideen und Geschichten, Gerüchen und Werten versieht und ausstattet. Der Kunde kauft dann kein Vehikel, sondern Freiheit und Fahrgefühl; im Café um die Ecke erwartet ihn keine schwarze Brühe, sondern eine Atmosphäre, die zum Gespräch mit Freunden animiert; der Raucher inhaliert nicht Teer und Nikotin, sondern atmet den Duft der weiten Welt; der Kunde geht nicht zum Shoppen auf die Zeil, weil ihm etwas fehlt, sondern weil er das Flanieren, Bummeln und Konsumieren genießen will. Würden die Menschen nur einkaufen, weil sie etwas brauchen, oder würden sie nur kaufen, was sie brauchen, wäre die kapitalistische Wirtschaft, so Bolz siegestrunken, längst in sich zusammengebrochen. Der symbolische oder kulturelle Kapitalismus, der Ideen in Markennamen packt, sie mit Geschichten und Sehnsüchten anreichert und Lebensstile feilbietet, verspricht aber keine Erlösung von den Übeln dieser Welt. Anders als der politische Messianismus verheißt er "weder ein Ziel noch das Ende der Geschichte, sondern nur das immer wieder Neue." Verkehrung von Ursache und Wirkung Von solchen einfachen Weltsichten scheinen die US-Imperialisten aber nur mäßig überzeugt zu sein. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich bei ihnen ein Bewusstseinswandel vollzogen, der der Politik eindeutig wieder Vorrang vor dem Ökonomischen einräumt und das Politische als ein alle anderen Bereiche durchziehendes Zentralgebiet für sich und ihre imperialistischen Ziele neu entdeckt. Sie misstrauen den Händlern und Krämerseelen und votieren stattdessen für die Helden. Um als globale Macht im Dschungel der failed states zu reüssieren, taugen privates Unternehmertum und die Produktion für den Markt wenig. Es braucht dazu vielmehr Mut, Durchsetzungskraft und politische Entschlossenheit, um finstere Gebiete notfalls mit Waffengewalt zu erobern und Diktatoren daraus zu verjagen. Und auch die arabischen Selbstmordbomber scheinen von solchen Ideen nur wenig angetan zu sein. Sieht man sich die Lebensläufe von Osama bin Ladins oder Mohammed Attas an, so wird man genau das Gegenteil feststellen. Nicht der Entzug, der Vorenthalt oder der Verzicht auf Geld, Markenartikel und den Pursuit of happiness haben sie zum Heiligen Krieg gegen den Westen animiert. Sondern in der Möglichkeit, in Saus und Braus zu leben, haben sie jene Motive gefunden, die sie zu Gesinnungstätern hat reifen lassen. Von Atta und seinen konspirativen Freunden wissen wir, dass sie sich am Tag vor dem Anschlag in ein First Class Hotel in Las Vegas einquartiert und sich beim Besuch eines dieser Konsumtempel des amerikanischen Spielerparadieses den letzten Kick für ihr Attentat geholt haben. Auch die Biographie [5] von Omar Sheikh, dem Mörder des US-Journalisten Daniel Pearl, ist in diesem Zusammenhang recht aufschlussreich. Aus einer wohlhabenden anglo-pakistanischen Familie stammend, studierte er in England an einer Eliteschule. Bilder und Berichte vom und über den Bosnien-Krieg sollen ihn zunächst zum islamistischen Extremisten gemacht haben, der später sogar zu einer Art "Lieblingssohn" bin Ladens aufstieg und seine Frau unter einer Burka einschloss. Offenbar ist es gerade das Virus des westlichen Lebensstils, der pursuit of happiness, der dazu führt, dass junge, hoffnungsvolle Muslime, die entweder in der westlichen Welt aufwachsen oder zumindest in vergleichbaren Milieus sozialisiert werden, sich plötzlich dem finstersten Fanatismus zuwenden und zum Selbstmordbomber werden. Den "Ewigen Marktfrieden", den der Medienwissenschaftler anstelle des "Ewigen Frieden" Kants apostrophiert, ist nicht die Lösung, sondern die Ursache des Problems. Stimmt dies, und es spricht sehr viel dafür, dann fällt die ebenso knallige wie flaue These des Buches wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Der Wille, alle potentiellen Bin Ladins in Nike-Schuhe zu stecken, würde genau das Gegenteil auslösen: mehr statt weniger Gotteskrieger gebären. Weil ihm diese entgeistende Kraft des islamischen Fundamentalismus entgeht, wird Bolz zum Messias eines naiven Marktglaubens, der den Äquivalententausch zum Maß aller Dinge macht. Vermutlich ist es aber gerade nicht Neid oder Missgunst, die den Hass auf den Westen nähren und Muslime zu Attentisten machen, sondern hauptsächlich die Jahrzehnte lange Erfahrung von sozialer Erniedrigung, kultureller Demütigung und individueller Kränkung durch den Westen und seine Politik. Vom postmodernen Budenzauber, der auf knapp 130 Seiten von Bolz in bekannter Manier entfaltet und für 10 Euro das Stück vom Verlag verhökert wird, sollte sich der Leser aber nicht blenden lassen. Und von der Suada, die auf ihn einstürzt, auch nicht. "Alles, was man sieht", so das Motto des Buches, "ist constructed und constrained - constructed, also nicht erfunden, constrained, also nicht gefunden". Besser hätte man die Perplexität, die das Buch ausstrahlt, nicht formulieren können. Norbert Bolz, Das konsumistische Manifest, Fink Verlag: München 2002, 130 Seiten, 10 Euro. Links [1] http://www.heise.de/tp/deutsch/kolumnen/mar/12384/1.html [2] http://www.worlds-of-capitalism.de/1024/expose1.htm [3] http://www.online-merkur.de/seiten/hank.htm [4] http://www.heise.de/tp/deutsch/kolumnen/mar/5083/1.html [5] http://www.nouvelobs.com/articles/p2007/a192462.html Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/buch/14956/1.html ---------------------------------------------------------------------- Copyright © 1996-2003. All Rights Reserved. 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