Manuel Bonik on Fri, 13 Dec 2002 22:15:02 +0100 (CET)


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Re: [rohrpost] Monsterbegriff Medien: Definitionen(für Uni-Leute)


Ich fuehle mich bei dieser Diskussion um eine Definition von Medien ein
wenig an die Zeit Ende der 80er erinnert, als ich bei den schlimmen
("sozial-empirisch" orientierten) Kommunikationswissenschaftlern in
Muenchen studiert habe. Da wurde einem an Anfang das Shannonsche Modell
aus der Theory of Communication vorgestellt, und dann hiess es: der
schlimme Kerl habe natuerlich nur eine Theorie der Information
dargestellt, weil er sich ja nur auf Syntax und gar nicht auf Semantik
bezieht, und zu vernuenftigen Aussagen ueber Kommunikation und Medien
koenne man nur kommen, wenn man die Beziehungen von Sender(-Mensch) zu
Empfaenger(-Mensch) betrachtet, Absichten, Erwartungen etc. Und schon
hatten die alles, was wir Listenreichen ungefaehr unter (technischen)
Medien verstehen, aus ihrer Theorie verbannt und die besten Gruende, im
Auftrag irgendwelcher TV-Firmen die naechsten wohlbezahlten
Fragebogen-Umfragen zu machen. 

Ich war schon erstaunt, wie damals alles, was entweder in Richtung
Medientechnik oder in Richtung nichtbehavioristische Psychologie zielte,
schlichtweg verboten war. Da waren dann die Lektueren von in ersterer
Richtung Kittler und in zweiterer Oswald Wiener schon sehr befreiend,
bei diesem auch gerade, weil er sehr skeptisch war, ob es sowas wie
Semantik ueberhaupt gibt. Und von daher (plus ein wenig
Norbert-Wiener-Lektuere) auch meine Skepsis, ob Soziologie ueberhaupt
eine Wissenschaft ist.
 
Pauschal gesprochen, gehen die Probleme mit Medien-Definitionen immer
dann los, wenn man im Medien-Begriff mehr als die - brauchbar
definierten, aber eben rein technischen - Shannonschen Komponenten
drinhaben moechte. Ob das die Sisyphosarbeit der Soziologen waere oder
was der Normalbuerger mit Medien meint (>die Medien sind schuld<) oder
auch der Spleen mancher >Uni-Leute<, einigermassen technische
Mediendefinitionen wie 

*** >"die Funktionen des Aufzeichnens, des Speicherns, der internen / externen
*** >Verarbeitung, des Abrufens / Verbreitens / Übertragens und der [...] 
*** >Aufbewahrung".

bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf Menschen zu beziehen. Denn von
denen wissen wir ja kaum auch nur rudimentaer, wie sie Informationen
(auch ein mindestens doppeldeutiges Wort) z.B. >speichern< oder
>verarbeiten<. Und werden das zu unseren Lebzeiten wohl auch nicht mehr
erfahren.

Von daher bin ich auch fuer eine engere Definition von >Medium<. Denn je
mehr das Wort umfassen soll, desto weniger ist es zu irgendwas zu
gebrauchen.

Manuel Bonik




On Wed, 11 Dec 2002 15:49:31 +0100
Martin Lindner <Martin.Lindner@uibk.ac.at> wrote:

*** manuel bonik:
*** > "Medien" steht als Monsterbegriff, auf dem/n sich ach so vieles abladen
*** > und projizieren laesst, was dereinst mal auf Monsterbegriffe wie "Sprache"
*** > oder spaeter auch gerne "Gesellschaft" abgeladen und projiziert wurde. Dann
*** > wechseln die akademischen Moden, und - wir suchen schon wieder nach einem
*** > neuen Monsterbegriff?
*** 
*** Ja, de facto funktioniert "Medien" als "Monsterbegriff". Aus vielen Gründen -
*** u.a. auch deshalb, weil ein sehr mächtiger/suggestiver gesellschaftlicher
*** "Mythos" (im Barthes'schen Sinn) damit verknüpft ist. 
*** 
*** Darum ist es auch völlig richtig, zuerst mit einer trockenen Definition zu
*** antworten (und dann den Mythos zu analysieren, der ja auch gerade hier bei der
*** "Medienkunst" wirksam ist): 
*** 
*** harald hillgaertner
*** > Für einen "Monsterbegriff" mal eine "Monsterdefinition":
*** >"die Funktionen des Aufzeichnens, des Speicherns, der internen / externen
*** >Verarbeitung, des Abrufens / Verbreitens / Übertragens und der [...] 
*** >Aufbewahrung".
*** >(Burkhardt Lindner: Das optisch Unbewusste. In: Tholen, Georg Christoph;
*** >Schmitz, Gerhart; Riepe, Manfred: Übertragung - Übersetzung - Überlieferung.
*** Kassel 2001. S. 274.)
*** 
*** > Bietet jemand mehr?
*** 
*** Ja, jedenfalls länger.  (Obwohl ich nicht weiß, ob es "mehr" ist oder, was bei
*** der Definition von "Medien" immer anstrebenswert wäre, "weniger"): 
*** 
*** "... die komplexen, eigendynamischen und binnelogischen Systeme, die sich auf
*** drei Ebenen um ein technisches Verfahren zur Codierung, Übertragung und
*** Decodierung von Zeichen herum ausbilden: auf der Ebene des technisch
*** restringierten Proto-Codes (Kittler ...), auf der Ebene der eigenständigen
*** semiotischen/semantischen Codes ("Mediensprachen"als kulturelles Phänomen ...),
*** auf der Ebene der sozialen Systeme (Luhmann ...)."
*** 
*** "Technisch": Beginnend mit Fotografie und Telegrafie. 
*** Gezielt auszuschließen aus dem engen /exakten Begriff  von "die Medien":
*** vortechnische Schrift- und Bild-Medien (die nur in dem übertragenen Sinn
*** "Medien" sind, dass sie im Rückblick, von den seit ca. 1980 gültigen
*** Erkenntnissen über technische Medien aus, überhaupt erst als "Medien" begriffen
*** werden können); sämtliche ausgeweiteten Medienbegriffe ("die Sprache"; "das
*** Bild", "die Literatur", die Hostie/die Messe (Hörisch)) usw. ... und der
*** Luhmann'sche Medien-Begriff, der trotz Schwerverständlichkeit schon sinnvoll
*** ist, wenn er nicht "Medium" hieße. 
*** 
*** Bitte um Widerspruch.
*** 
*** Martin
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