Tilman Baumgaertel on 28 May 2001 20:23:00 -0000


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[rohrpost] Oval


http://www.BerlinOnline.de/aktuelles/berliner_zeitung/multimedia/.html/42440
.html

Elektronische Musik, selbst getöpfert

Schläft ein Lied in allen Dingen - auch im PowerMac G4. Markus Popp von
Oval produziert mit dem Computer und eigener
Software Musik. Und plötzlich beginnt das Modem zu singen

Tilman Baumgärtel 

So sieht also der Arbeitsplatz eines zeitgenössischen Komponisten heute
aus: Ein Schreibtisch, darauf zwei Computermonitore, eine Maus, eine
Tastatur. Es könnte auch der Arbeitsplatz eines Grafikers oder eines
Webdesigners sein, der sich da in einem Dachatelier an der Berliner
Friedrichstraße nahe dem Checkpoint Charlie befindet.

Unten dröhnen die Touristenbusse vorbei und die Presslufthämmer knattern.
Hier oben unter dem Altbau-Dach ist es kaum weniger
geräuschvoll: Aus den Boxen des einen Computermonitors quillt elektronische
Musik; davor steht Markus Popp, ihr Komponist, und redet wie
ein Maschinengewehr. Eigentlich soll er die neue CD promoten, die er unter
dem Namen "Oval" produziert hat. Aber er meint: "Ich will nicht
immer nur hinstellen und sagen: ,Meine neue CD, die ist auch wieder
furchtbar interessant und komplex.‘ Ich finde es interessanter, eine
kommunikative Situation zwischen realen Leuten zu schaffen."

Sein neues Album "Ovalcommers" ist zwar wie jedes andere x-beliebige Stück
Techno- oder House-Musik mit dem Computer produziert
worden. Doch im Gegensatz zu den meisten anderen Produzenten elektronischer
Musik verwendet Popp nicht Musikprogramme wie Pro Tools
oder Cubase, sondern hat sich ein eigenes Programm entwickeln lassen, um
aus dem Rechner eine ganz andere, ganz eigene Musik strömen zu
lassen. 

Musik in Handarbeit

Das deutsche Musikmagazin "De:Bug" konstatiert in seiner aktuellen Ausgabe
einen neuen Trend zu "Handarbeit" und "Selbstgetöpfertem" in
der elektronischen Musik der Gegenwart. Damit ist zwar eigentlich eine
Reihe von House-Produzenten gemeint, die ihre Musik nicht länger aus
digitalen Samples am Rechner zusammensetzen, sondern wieder mit
leibhaftigen Studiomusikern Platten aufnehmen. 

Doch Popps Methode ist durchaus geistesverwandt: zwar ist seine Musik nach
wie vor komplett mit dem Computer produziert. Doch auch er
verweigert sich den Methoden und Programmen, mit denen elektronische Musik
normalerweise produziert wird. Statt Sessionmusikern aus
Fleisch und Blut verwendet er freilich ein anderes Antidot: das Programm
Ovalprocess, dass der Londoner Programmierer Richard Ross nach
seinen Angaben geschrieben hat. Dadurch soll vermieden werden, dass sich
die Musik von Oval so anhört wie sich Musik, die mit dem
Computer produziert wird, sonst eben so anhört. 

Paradoxerweise klingt die Musik von Oval jedoch noch viel mehr nach
"digital" und nach Computer als alles, was normalerweise als
elektronische Musik firmiert. Mal stockt der Klang, als sei der Download
eines Real-Audio-Files wegen Netzwerk-Überlastung hängen
geblieben; mal meint man, das Quietschen und Piepen eines Faxgeräts zu
hören, mal, das Klicken einer Computermaus zu hören. Trotzdem ist
die Musik von Oval keine schrille Kakofonie, sondern klingt erstaunlich
sanft und harmonisch, fast sphärenmusikhaft. Der Mikroprozessor
beginnt zu summen. 

Keine Regeln

Die Band Oval hat sich noch nie um die Regeln gekümmert, nach denen
elektronische Musik sonst so produziert wird. Obwohl sie von Anfang
an mit Samples und Loops arbeiteten, also mit den grundlegenden Elementen
von Musikstilen wie Techno, Drum & Bass oder HipHop, klangen
ihre Tracks nie so wie die Musik, die heute die Tanzflächen füllt.

Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass alle Mitglieder von Oval keine
musikalische Ausbildung hatten, sonst wären sie ihren merkwürdigen Ideen
wohl kaum auf so konsequente Art nachgegangen, wie sie es getan haben:
Mitte der Neunzigerjahre veröffentlichte die Band, damals noch als
Trio, ihre ersten Aufnahmen von bearbeiteten CDs. 

Sie nudelten CDs im Schnellvorlauf vorwärts und rückwärts, zerkratzen und
bemalten sie mit Textmarkern. Die Farbe zersetzte die CDs, die
dann die charakteristischen holpernden Geräusche erzeugten, die den "Sound"
von Oval prägen. Und der taucht inzwischen auch in
Werbefilmen für Armani-Mode und auf den neuen Platten von Björk und Madonna
auf. 

Doch trotz der ungewöhnlichen Produktionsmethode war die Musik von Oval
keine kopfgeborene "musique concrète" (obwohl sie - bewusst
oder nicht - diese Tradition weiterführen), sondern immer auch angenehm zu
hören, ja, "schön" - auch wenn diese Kategorie im Zusammenhang
mit nach dem Zufallsprinzip generierter Musik etwas Zweifelhaftes hat.

Heute wirkt der physische Angriff auf die CDs roh im Vergleich mit der
Software Ovalprocess, mit der Popp inzwischen seine Musik
produziert. Eine erste Version des Programms war im vergangenen Jahr in der
Music Box am Potsdamer Platz zu betrachten und zu benutzen.
Wie auch immer man an den Bedienelementen herumdrehte und -klickte, das
Gerät produzierte "Musik" im Stil von Oval. 

"Ich versuche, ein Angebot zu machen, das eine Intervention in diese
Simulation von Software ist", sagt Markus Popp in seinem Dachstudio. In
wenigen Tagen geht er auf Tournee nach Japan, wo Oval sehr populär ist.
Popp spricht so schnell, als wäre er kurz davor, sein Flugzeug zu
verpassen, müsse aber trotzdem noch unbedingt schnell erklären, dass er mit
Oval die Art und Weise thematisieren will, mit der heute
elektronische Musik gemacht wird. 

Man wolle nicht musikalische "Tricks zeigen, sondern die Bedingungen der
Tricks", hatte die Band bereits 1994 bekannt gegeben. Er möchte
die Produktionsmethoden von elektronischer Musik "diskutierbar machen",
sagt Popp heute über die neue CD: "Elektronische Musik ist ganz
unhintergehbar an die Software gekoppelt, mit der sie gemacht ist, an ihre
Möglichkeiten und an ihre Fehler. Ich will den Leuten etwas anbieten,
was sie wirklich sehen und beurteilen können." 

Bedienen und bestaunen

Das sind einerseits die CDs, die Oval veröffentlichen; andererseits will
Popp auch die Ovalprocess-Software ausstellen. Auf einer Website im
Internet soll demnächst das Programm zu bestaunen und zu bedienen sein, und
Popp selbst zieht zurzeit mit einer Kiste, in der ein Computer mit
der Ovalprocess-Software steckt, durch Japan. 

Ganz ehrlich ist das nicht: die Versionen der Software, die Popp öffentlich
vorführt, sind nicht diejenigen, mit denen er seine eigenen Stücke
einspielt. Popp ist zu sehr Künstler, als dass er die Kontrolle über seine
Musik und sein Programm aus der Hand geben könnte. Wenn er wollte,
könnte er das Programm im Netz zum Herunterladen anbieten, doch er zeigt es
lieber in quasi-musealer Form in Galerien, Universitäten und
Plattenläden. 

Das Ovalprocess, das dort oder demnächst im Internet zu besichtigen ist,
ist also nur eine abgespeckte Version des Programms, mit dem Popp
selbst arbeitet. Ovalprocess macht den Konsumenten nicht zum Produzenten,
wie in einer Pressemitteilung behauptet wird, sondern erlaubt es
ihm lediglich, in Echtzeit den Oval-Sound neu zu strukturieren. 

Dabei wäre es durchaus interessant, was wohl aus dem Programm werden würde,
wenn es als freie Software im Netz veröffentlicht und dort
Hackern in die Hände fallen würde. Die im Internet organisierte, kollektive
Intelligenz hat bisher noch jeden MP3-Kopierschutz geknackt, da
wäre es doch spannend, was sie mit Ovalprocess anfangen würden. Doch das
interessiert Markus Popp nicht. 

Wahrscheinlich geht es bei Oval in Wirklichkeit um einen alten Traum aus
der Romantik. Wie einst in Eichendorffs Gedicht "Wünschelrute"
schläft auch bei Oval ein Lied in allen Dingen - auch in dem Power Mac G4
Cube, auf dem die Ovalprocess-Software läuft. Der Computer
träumet fort und fort, und er fängt an zu singen, triffst du nur das
Zauberwort. Ironischerweise klingt das dann wie das Quietschen eines
Modems. 



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