Reinhold Grether on Sat, 6 May 2000 21:37:52 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] Toywar und die Politik des Code |
Hier ein kurzer Bericht von der Eroeffnung der etoy.SHOW bei Postmasters in Manhattan, der meinen zweiten etoy-Artikel "Durchbruch zum Weltcode" ergaenzt. http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/sa/8090/1.html Es gibt nur zwei auf Medienkunst spezialisierte Galerien in New York, Sandra Gering <http://www.users.interport.net/~gering/> in Soho und Postmasters <http://www.postmastersart.com/> in Chelsea. Bezieht man die dort gerade laufenden Ausstellungen, "ComplexCity" von John F. Simon, Jr. <http://www.numeral.com/> bei Sandra Gering und "Impact Management" von etoy <http://www.etoy.com/> bei Postmasters aufeinander, lassen sich netzarchitektonische Verzeitlichungsformen ausmachen. John F. Simon entwickelt das Thema von "Every Icon" <http://www.numeral.com/eicon.html>, das permutative Rasterbild, zur Bildlichkeit einer evolutionaeren Digitalmalerei. Zwoelf nebeneinander angeordnete Flachbildschirme zeigen ein- und dasselbe farblich nuancierte Stadtraster. Wie Verkehr eine Stadt belebt, illuminieren - gesteuert durch ein avanciertes Stueck Software - permutativ aufgerufene Pixelpunkte das Raster und erwecken so den Anschein einer sich permanent veraendernden Stadtlandschaft. Die beiden ebenerdig gestaffelten Galerieraeume von Postmasters bilden einen zwischen hoehere Wohnhaeuser eingeschlossenen Flachbau, der kurz vor der Kreuzung von 19. Straße und 10. Avenue zu finden ist. Parallel zur Eingangsfront parkt der orangefarbene Netzcontainer Tank7 an der Bordsteinkante. Dicke schwarze Schlaeuche laufen aus ihm heraus und ueber das Dach durch die Galerie hindurch zu einem im hinteren Raum aufgestellten kleineren Tank, der als Podest für einen Leitz-Ordner mit der Toywar-Presseberichterstattung und fuer ein Cover der Toywar-Lullabies-CD dient. Den vorderen groesseren Raum beherrscht das mit Stacheldraht umkroente Toywar-Gefechtszelt. Von vier Konsolen aus koennen die Besucher durch die auf die Zeltinnenwaende projizierte Toywar-Plattform navigieren. Die Galeriewaende entlang haengen in unterschiedlichen Gruppierungen ungefaehr 60 etoy.SHARES. Diese shares verbriefen in Form von 2x2 Fuß grossen Aluminiumdrucken einen Anteil an der etoy.CORPORATION und visualisieren ein Motiv aus der Beteiligungsgeschichte des jeweiligen Eigentuemers, z.B.: "The etoy.SHARE-CERTIFICATE 125 shows a toy chainsaw which was used by Dr. Grether during TOYWAR I. It symbolizes the razor sharp avantgarde poetry he wrote during and after TOYWAR I." Shares sind digitale Zeit-Bilder, denen ein Chip mit den wichtigsten Share-Daten implementiert ist. Vgl. <http://www.etoy.com/share/space/listx.phtml>, wo saemtliche shares mit ihren Eigentuemern verlinkt sind. Den performativen Hoehepunkt des Eroeffnungsabends bildete denn auch die Unterzeichnungszeremonie für die neuen Toywar-Shareholder Chris Truax (Anwalt), Ingelbert Mustard (RTMark), William Linn (Blasthaus), Reinhold Grether (agent.nasdaq), Wolfgang Staehle (TheThing), Miriam Zehnder (agent.xtab), Gabriela von Wyl (agent.shetoy), Mike Kenny (agent.the_v._rev_dave), Suzy Meszoly (Kuratorin) und Paul Miller (DJ Spooky). Eine gewaltige Session von DJ Spooky schloss die Zeremonie ab. Glaubhaften Einschaetzungen zufolge gab es seit Jahren kein New Yorker Ereignis, das ein derartiges Sampling von Szenen und Personen zustandebrachte wie das opening der etoy.SHOW. Das unterstreicht noch einmal, was der Toywar war: eine großartige Verdichtung des Lebensgefühls am Ende des 20. Jahrhunderts. Fuer mich selbst oeffnete die New Yorker Woche Tuer und Tor. Eine nur durch die Whitney-Biennale und die Greater New York show (PS1) unterbrochene Kette von Begegnungen mit fuehrenden Netz-, Netzkunst-, Medienkunst- und Toywar-Repraesentanten. Durchgaengiges Thema aller Gespraeche war die Frage nach einer neuen "Politik des Code". Welche Netzarchitekturen koennen mit Aussicht auf eine progressive Entwicklung des Netzes entwickelt werden? Ich bin niemand begegnet, der nicht darueber nachdenkt und eigene Schritte in diese Richtung unternimmt. Im Vordergrund stehen die Subversion von ICANN, die Entwicklung von Peer-to-Peer-Architekturen wie Napster und die Etablierung browserloser Netze in Weiterentwicklung von Netomat. Zweites großes Thema war der re-entry virtueller Erfahrungen in die reale Welt. Von Aids über die Zapatistas nach Seattle und Washington bis zu Toywar und Anti-Haider laesst sich ein performatives Medienhandeln beobachten, das nicht mehr auf die revolutionaere Umgestaltung des Realen, sondern auf dessen semiolutionaere Neutralisierung abzielt. Das Unmögliche, Virtuelle und Surreale infiltrieren das Reale und versuchen so, dessen Machtanspruch ins Leere laufen zu lassen. Abschliessend zwei weitere Berichte vom Eroeffnungsabend. Der erste ist von Mark Andersen und erschien in Wired <http://www.wired.com/news/print/0,1294,36007,00.html>, der zweite ist ein eindrucksvolles Posting von Peter von Brandenburg in Thingist, das ich hier komplett zitiere: "Dear Listmembers, The etoy show which opened Sat at Postmasters is hugely kewl. Anyone in the area should see it. The installation was flawless & how refreshing a whiff of Middle European Rectitude seems in the midst of a phase in socioculture where no one appears to have the faintest effing idea what they're doing. Of course one has to have a feeling for International Orange. Both Isolation Tent & Wall Plaques were well hung, or, if you prefer, "situated". The presentations w/in the tent were reasonably well projected (but there's a physical agency in gen need of a tech upgrade if there ever was one), & the plaques were done to connote a corporate presentation, which of course is what they were. They were eye-catching, well composed & constructed & used absolutely perfect design metaphors in re styling & text placement. I understand the double-jumbo freight container parked outside was also set up well tho I didn't make it in. There were also large banners w/ a chrono-graph & investment blurb, respectively. At the ceremony which followed the opening, the plaques were taken off the walls & brought to a table in the back (formerly holding the bar [monotype, yet well-provisioned]) where they were revealed to be Shares (in case that wasn't clear), & signed by the 'holders in a brief ceremony recorded by a variety of devices. Whereupon, now "finished", they were re-hung. Later I was given a nice CD which is itself 5 Shares (now deciding whether to play it or frame it). The energy was spectacular & there was a fine performance by DJ Spooky after the ceremony. This was the same sort of "buzz in the house" one feels only very rarely at openings -- I was reminded of the last two times something very important had a germanophone cant (in music & painting in the late '70s & mid 80's), & while this wasn't exactly "Kraftwerk meets Kiefer" the feeling wasn't that foreign. So much art which deals or attempts to deal w/ "good politics" seems to be based on "Victorian Medicine Paradigm", e.g., "make it taste really bad so they know it's good for them". Boring, lifeless, positively stultifying assemblages of spent jargon & threadbare theory -- that it is truly reifying to have good, solid "political" art which is also a pleasure to look at as well as a pleasure to contemplate. Good politics should always be beautiful. best, Blackhawk." P.S.: Am 28. April 2000 zeichnete die Jury des Prix Ars Electronica die Toywar-Community stellvertretend für die gesamte Etoy-Kampagne mit einer "Lobenden Erwaehnung" aus. agent.nasdaq hatte eine 40-seitige Anmeldung mit 1800 - aus Datenschutzgründen typographisch durchschossenen - Email-Adressen eingereicht, so dass die Agenten der Toywar-Community allesamt in den Genuss der Ehrung gelangten. http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/sa/8090/1.html ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost