florian schneider on Wed, 8 Mar 2000 17:46:46 +0100 (CET) |
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[rohrpost] vandalismus im faz feuilleton |
Vandalismus im Internet Ein ganz spezieller Gesetztesbrecher / Von Edward N Luttwak Am 16. Februar, kurz nachdem verschiedene kommerzielle Internet-Plaetze, darunter Yahoo, eBay, CNN und Amazon.com, ueber laengere Zeit durch den "Beschuss" mit grossen Datenmengen angefriffen und zeitweilig lahm gelegt worden waren, erklaerte der Direktor des FBI, Louis J. Freeh, voller Zuversicht, seine Ermittler machten rasche Fortschritte. Festnahmen, so schien es, wuerden schon bald erfolgen. Aber am 1. Maerz widersprach ihm Michael A. Vatis, der Direktor des "National Infrastructure Protection Center", der in seiner Funktion dem Chef einer denkbaren Cyberspace-Polizei am naechsten kommt. Vatis erklaerte, es wuerden noch Hunderte von Moeglichkeiten geprueft - eine freundliche Umschreibung der Tatsache, dass die Untersuchungen offenbar keinen Schritt vorangekommen waren. Die meisten Experten sind inzwischen der Ansicht, dass die fuer die Angriffe Verantwortlichen wahrscheinlich nie gefasst werden. Es mag ueberrschend klingen - aber wenn die Taeter tatsaechlich nicht dingfest gemacht werden sollten, haette dies weit reichende Folgen. Das Internet, urspruenglich erfunden als eine Plattform fuer den Austausch von Mitteilungen, ist zum Markt geworden - und die Existenz aller bekannten Formen von Maerkten beruht darauf, dass irgendeine Autoritaet diese Maerkte einigermassen wirksam zu kontrollieren vermag, sei es der Rechtsstaat oder der Polizeiapparat eines Landes, sei es eine spezielle Behoerde wie die "Secutities and Exchange Commission", die amerikanische Boersenaufsicht, sei es das organisierte Verbrechen selbst, das in den Rotlichtvierteln rund um den Erdball fuer Ordnung sorgt, weil sonst die Kunden wegbleiben. Gleichgueltig, wer dafuer sorgt und mit welchen Mitteln er dies tut - Gewalt, Diebstahl und Betrug muessen in jedem Fall langfristig auf ein wirtschaftlich ertraegliches Mass beschraenkt werden. Kriege, Revolutionen, Naruekatastrophen und andere dramatische Einbrueche ziehen Maerkte nur kurzfristig und partiell in Mitleidenschaft. Wie gross der Schaden auch sein mag - sie erholen sich meist rasch. Wenn jedoch eine endemische Unsicherheit auch von viel weniger dramatischen Ausmassen besteht, koennen die Marktaktivitaeten zum Erliegen kommen, einfach deshalb, weil sie ihre Wettbewerbsfaehigkeit verlieren. Aus diesem Grund gibt es zum Beispiel in vielen grosstaedtischen Slumgebieten rund um den Erdball keine Supermaerkte: die Kosten, die durch chronischen Ladendiebstahl und gewohnheitsmaessigen Vandalismus verursacht werden, treiben die Preise dieser Maerkte so sehr in die Hoehe, dass kleine, gut geschuetzte Laeden im Familienbesitz wirtschaftlicher sind. Mit anderen Worten, nicht alle Marktaktivitaeten lassen sich so gut sichern, dass sie ueberleben koennen. Ein Problem beim Schutz des elektronischen Handels im Internet besteht offenkundig darin, dass Polizeibehoerden auf unueberwindliche Hindernisse stossen, wenn sie talentierte Computer-Ermittler einstellen wollen - es gibt fuer solche Leute einfach zu viele besser bezahlte und interessantere Jobs. Im Kampf gegen die gewoehnliche Kriminalitaet hat die Polizei von vornherein einen qualitativen Vorteil: ausser im Roman und im Film trifft auf fast alle Kriminellen zu, dass sie ziemlich ungebildet, chaotisch veranlagt und ganz einfach dumm sind. Der durchschnittliche Polizeiermittler ist sehr viel intelligenter als der durchschnittliche Kriminelle. Aber fuer die Computerwelt gilt dies nun gerade nicht. Diese Welt lockt einen sehr speziellen Typ von Gesetztesbrecher an - nicht unbedingt den genialen Hacker (auch er eine Hollywood-Erfindung), sondern den, der im Umgang mit Computern so geschickt ist, dass er seine Uebeltaten ausfuehren kann. Das fundamentalere Problem besteht naruerlich darin, dass das Internet dem Austausch indirekter und anonymer Mitteilungen unbegrenzten Spielraum bietet. Dies verhindert allerdings nicht die Bekaempfung bewusst krimineller Handlungen, die auf einen materiellen Gewinn abzielen. Der elektronische Betrug muss letztlich eine Adresse irgendwo ausserhalb des Cyberspace haben, um seinen Gewinn abschoepfen zu koennne, auch wenn diese Adresse vielleicht gut getarnt ist; auf diese Weise kommt notwendigerweise eine "Kennung" ins Spiel, die sich aufdecken und ueber eine Reihe von Zwischenstationen zurueckverfolgen laesst, wie bei einer Kette von elektronischen Umbuchungen von einer Bank zur anderen. Der elektronische Betrug kann also in Grenzen gehalten weden, wenn es gelingt, von Zeit zu Zeit einige Computer-Kriminelle dingfest zu machen - natuerlich nicht alle, aber doch so viele, dass eine abschreckende Wirkung erzielt wird. Beim elektronischen Vandalismus verhaelt es sich ganz anders. Weil hier kein materieller Gewinn im Spiel ist, der eine Spur hinterlaesst, die man zu ihrem Ausgangspunkt zurueckverfolgen koennte, lassen sich nur sehr unvorsichtige Vandalen wirklich fassen - und auch dies oft nur unter grossen Anstrengungen. Amerikanische Ermittler verfuegen ueber Ressourcen an Menschen und Material, von denen ihre europaeischen oder asiatischen Kollegen nur traeumen koennen - nicht zuletzt ueber grosse Budgets fuer Computer und Computerdienste. Wenn es ihnen schon nicht gelingt, die Vandalen zu fassen - oder so viele von ihnen, dass andere abgeschreckt werden -, dann besteht ueberhaupt keine Hoffnung, den Vandalismus unter Kontrolle zu bringen. Und allzu viel Vandalismus ist nicht vonnoeten, damit bestimmte wirtschaftliche Aktivitaeten zum Erliegen kommen. (Versuchen Sie mal, aus irgendeiner Telefonzelle in einem Slumgebiet dieser Welt jemanden zu erreichen.) Es gibt nur einen Grund, warum wir im Internet bisher so wenig Vandalismus zu verzeichnen hatten: Der elektronische Handel selbst ist noch sehr neu. Er ist noch nicht zum nahe liegenden Ziel fuer die Wut Einzelner oder die Ressentiments ganzer Gruppen geworden, wie sie in jeder dynamischen Gesellschaft virulent sind. Es koennte aber sein, dass die Tage des elektronischen Handels, kaum dass er zu florieren begonnen hat, bereits gezaehlt sind. Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser. Der Autor ist Wirtschaftswissenschaftler und Berater der amerikanischen Regierung. ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost