Tilman Baumgaertel on Wed, 1 Mar 2000 20:12:16 +0100 (CET)


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[rohrpost] Wie das Web gewebt wurde


from:
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/buch/5853/1.html



Wie das Web gewebt wurde

Von Tilman Baumgärtel


Wenn es einen Nobelpreis in der Informatik gäbe - Tim Berners-Lee
(http://www.w3.org/People/Berners-Lee/) hätte ihn
verdient. Denn ohne den britischen Programmierer wäre der Zugang zum
Internet wohl immer noch das Privileg einer kleinen Kaste von Geeks und
Akademikern. Tim Berners-Lee ist der Erfinder des WorldWideWebs.
Unter dem etwas öden deutschen Titel "Der Web-Report" und mit einem
fürchterlichen Cover versehen liegt nun seine Autobiographie auch auf
deutsch vor. 

Doch nein, eine Autobiographie ist das gar nicht - dafür ist Berners-Lee
viel zu bescheiden. Der Privatmann kommt in dem Buch nur am Rande vor, im
Mittelpunkt steht sein Werk, das WorldWideWeb. Und dessen Entstehung
erklärt der
heute 45jährige Berners-Lee in so einfacher und einleuchtender Weise, dass
auch Laien seinen Schilderungen mühelos folgen können. Man darf wohl seinem
Co-Autoren Mark Fishetti für die Klarheit und Verständlichkeit dieses Buches
danken, denn wer Berners-Lee einmal im Interview erlebt hat, weiss, dass
man es bei ihm mit einem - selbst für Programmiererverhältnisse - nicht
gerade besonders artikulierten Menschen zu tun hat. 

Wer wissen will, wie das Web gewebt wurde, ist mit diesem Buch hervorragend
bedient. "Die Vision, die ich für das Web haben, ist, dass es möglich ist,
alles mit allem zu verbinden", heisst es schon im Vorwort des Buches. Und in
der Tat kam Berners-Lee die Idee für das Web, als er in dem Schweizer
Kernforschungszentrum CERN arbeitete, und nach einer Methode suchte, um
"alle Leute, Computer und Projekte in dem Labor miteinander in Verbindung
zu setzten." Für Berners-Lee ist die Entwicklung des Webs übrigens
keineswegs abgeschlossen, im Gegenteil: im zweiten Teil des Buches
beschreibt er seine Zukunfthoffnungen für das WWW. Wenn es nach ihm ginge,
soll es möglich sein, dass alle User Websites selbst editieren können;
einen entsprechenden Browser hat das WorldWideWeb Consortium, das
Berners-Lee heute leitet, bereits programmiert. 

Bisher galten zwei Innovationen als die Hauptleistungen von Tim
Berners-Lee: erstens entwickelte er mit dem Uniform Resource Identifier
(URL), heute besser bekannt als Uniform Resource Locator (URL), das
Prinzip, das jede beliebige Datei im Web, um gefunden werden zu können,
eine eigene Adresse haben muesse - wie zum Beispiel das
www.heise.de/tp/abrakadabra.html, unter dem dieser Artikel zu finden ist.
Und zweitens schuf er mit der Hypertext Mark-Up Language (HTML) eine
verhältnismässig einfach zu schreibende Sprache, mit der alle diese
Dokumente codiert werden konnten und die sich ja erstaunlicherweise in
ihren Grundzügen bis heute erhalten hat. 

Berners-Lees Buch zeigt aber auch, dass es nicht genügt, eine gute Idee zu
haben, sondern dass man diese Idee auch durchsetzten können muss. Was den
"Webreport" so spannend macht, sind darum vor allem die Passagen, in denen
Berners-Lee schildert, wie er seine Idee bei Konferenzen, in persönlichen
Meetings oder bei informellen Treffen in den Büros des O'Reilley Verlags
verteidigte, und dass er bei der Jahresversammlung der Internet Engeneering
Task Force (IETF) ebenso für sein Web kämpfte wie bei den Treffen von
obskuren Hypertext-Fanclubs. Dass Berners-Lee aus Europa kam und keine
mächtige Internet-Institution im Rücken hatte, machte seine Mission dabei
nicht gerade leichter.

So erscheint es nach der Lektüre des "Web Reports" seine grösste Leistung
gewesen zu sein, die Webprotokolle in den Internet-Gremien durchgesetzt zu
haben. Diese Vorgänge hinter den Kulissen sind bisher noch nie dokumentiert
worden, und darum ist dieses Buch ein wichtiger Beitrag zur
Geschichtsschreibung des Internets, der da ansetzt, wo das klassische
"Where Wizards stay up late" von Katie Hafner und Matthew Lyon endet. Ein
Nebeneffekt der Schilderungen von Berners-Lee Ein-Mann-Kampf für das Web
ist übrigens, dass einem der Mann als etwas hölzerner, aber herzensguter
Nerd während der Lektüre immer sympatischer wird.

Sein Buch ist ein glaubwürdiges Zeugnis dafür, dass Berners-Lee es
geschafft hat, so diplomatisch und konziliant zu agieren, um die
Eigenschaften des Webs zu erhalten, die zu seinem Erfolg geführt haben:
dass es ein offenes System mit offenen Standards ist, die für jeden
einsehbar sind und an deren Entwicklung sich theoretisch jeder beteiligen
kann. Die Passagen, in denen er erklärt, wieso das so sein muss,
formulieren eine Art philosopisches Grundgerüst für das Web als Ganzes.
Dabei betont Berners-Lee immer wieder die entscheidende Rolle, die andere
bei der Entwicklung des WWW gespielt haben: "Die Menschen des Internets
haben das Web in echter Grasswurzel-Tradition entwickelt", schreibt er. 

Eine sehr schlechte Figur machen in diesem Zusammenhang übrigens die
Mitarbeiter der University of Illinois, die Anfang der 90er Jahre mit
Mosaic einen der ersten Browser für das Web schrieben: "Sie stellten sich
selbst als diejenigen dar, die das Web entwickelt hatten, und versuchten,
das Web in Mosaic umzubennen." Zu ihnen gehörte damals auch der junge Marc
Andreessen, der später als Gründer von Netscape einer der ersten
Internet-Millionäre wurde. Ihn scheint Berners-Lee übrigens heute noch zu
verachten, wie einige bittere Nebensätze verraten. Selbst dass Andreessen
sich bei einem der ersten Web-Treffen am MIT weigerte, fotografiert zu
werden, vermerkt Berners-Lee penibel. 

Tim Berners-Lee selbst hat durch seine Erfindung übrigens nie viel Geld
verdient, aber das scheint ihn nicht zu stören: Geld sei für ihn nur das,
was man damit tun kann, heisst es in dem Buch, und dann sind wir wieder bei
dem, was Berners-Lee viel mehr interessiert: "Das Web ist eher eine soziale
denn eine technische Schöpfung. Ich habe es erfunden, damit es soziale
Auswirkungen hat, nicht als irgendein technisches Spielzeug." 

Könnte man diesem Mann nicht eine Briefmarke widmen, solange es noch keinen
Nobelpreis für Informatik gibt? Oder wenigstens eine neue
Programmgrammiersprache nach ihm benennen? Er hätte es verdient. 


Tim Berners-Lee (mit Mark Fishetti): Der  Web-Report, 320 Seiten, 49,90
Mark, econ Verlag, München









Mediation is a lie told with the utmost conviction.
Cary Peppermint



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