Pit Schultz on Tue, 7 May 96 04:23 MDT |
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der Anti-Barlow |
Der Anti-Barlow von Pit Schultz/Geert Lovink Am 9. Februar 1996 veroeffentlichte John Perry Barlow, ehemaliger Chef der Electronic Frontier Foundation, vom schweizerischen Davos aus ein elektronisches Pamphlet mit dem Titel "A declaration of independence of cyberspace", das sich binnen Stunden im Netz verbreitete und heute in unzaehlbaren Kopien auf den Websites und privaten Computern der 'Wired World' einen neuen Stand in der Wunschoekonomie der Netze markiert. In einem 'Pathos der Distanz' verteidigt das Manifest den Autonomieanspruch virtueller Anarchie, gegenueber den Partikularinteressen von Nationalstaaten, Buerokratien, Industrien, Kirchen und allem was der 'alten Welt' zugerechnet wird. Es stellt einen Wendepunkt dar in der kurzen Geschichte des Cyberspace, weil hier, wenn auch auf rhetorisch plumpe Weise, der Anschluss an die 'grosse Politik' gesucht wird. Das Manifest, man ahnt es schon, ahmt den jedem Amerikaner seit spaetesten der 'primary school' bekannten patriotischen Gruendungsakt Jeffersons nach. Zu einem Zeitpunkt an dem sowohl Legislatur, Bankenwesen und Institutionen aufs Netz draengen, wird ein abgespaltener mythischer Wunschraum des gesetzlosen Raums angerufen, der, da er nun derartig kollektiviert ist, ein Paradefall fuer eine zu entwickelnde Schizo-Analyse der Netze liefern koennte. Anlass ist der Communication Decency Act, der es unter Strafe zu stellen versucht, die Worte 'shit, fuck, motherfucker, dick, cocksucker, cunt etc.' im Internet zu benutzen. Dieser betruebliche Zensurversuch kann als 'Testballon' der staatlichen Gewalten gewertet werden, um das staatsfeindliche Potential der Wunschstroeme und Fliehkraefte in der expandierenden Info-sphaere zu messen. Sein Platzen ist eingeplant aber die Stimmungbarometer des symbolischem World-Wide-Web-Widerstands, liefern laengst entscheidendere Daten ueber einen umsichgreifenden Cyber-Separatismus. "you don't have any authority where we gather" Eine merkwuerdige Autonomiebewegung meint ein schwereloses Territorium gefunden zu haben. Gleich einem Baumhaus zieht man sich von harten Leben der materialistischen Erwachsenenwelt in die ewige virtuelle Kindheit zurueck. Das besondere an dieser Fluchtbewegung ist dass sie im Einklang mit der neoliberalen partriotischen Ideologie einer deregulierten globalisierten Info-Oekonomie unter Vorherrschaft vorwiegend amerikanischer 'corporate states', dem 'virtual america' eines Newt Grinrich beschrieben in der 'Magna Charta of the Knowledge Age'. Der vorherige Versuch eines Orwellschen Ueberwachungs- Chips (Clipper) schlug bereits fehl, nicht zuletzt weil Wissenschaftler aus den Reihen der 'cyberrights now' - Bewegung bewiesen, dass er Maengel habe und ueberdies zu umgehen sei. Aussichtsreicher erscheinen dagegen die eher verdeckten Versuche des Pentagon, flaechendeckend und automatisiert Ueberwachungen durchzufuehren, wobei auch hier vermutet wird, dass der Rechen- und Speicheraufwand nicht mit dem Wachstum der Netze mithalten kann. Schliesslich die CIA, welche natuerlich geruechteweise, den Aufkauf der INTERNIC-Server vorantreiben, die die Namensvergabe im Internet verwalten, und deren Abschalten einige Orientierungslosigkeit ausloesen wuerde. In einer weltumspannenden Solidarisierungscampagne ist es nun der freiheitsliebenden Internetgemeinde gelungen, sich auf einen kleinsten gemeinsamen Wertekonsens zu einigen: 'free speech'. Auf Pornosites, privaten Heim-Seiten, bei Microsoft.com und linken K-Gruppen-Servern prangt derzeit 'the Blue Ribbon'. Per Klick verweist es auf den Zentralserver der EFF (s.o), bei der auch Barlows Dokument zu finden ist. Die Aktion steht in einer gewissen Tradition der Erinnerung und des Abschieds: Black Ribbon: im Gedenken an verstorbene Persoenlichkeiten, Yellow Ribbon: an Golfkriegs-Opfer, Red Ribbon: an AIDS-Tote, und Blue Ribbon? 'The death of the net-as-we-know-it'? Es ist zu vermuten dass der Verlust an Freiheitsgefuehl eher aus dem Anschluss an viele andere dem 'Realitaetsprinzip' weit mehr verpflichteter Netze wie Bankenwesen, Telearbeit, aber auch konkrete soziale Netze zurueckzufuehren ist. Was aber soll nun 'freie Rede' auf den Netzen heissen? Allein die Tatsache, dass nach penibelster Suche nicht mehr als ein Dutzend Antworten auf Barlows Manifest zu finden waren, dieses selbst aber in hunderten verschiedener Layouts zirkuliert, zeigt unter der Beruecksichtigung der moeglichen Freiheitsgrade ein bedenkliches Ungleichgewicht zwischen Differenz und Wiederholung. 'Das Halbwissen der Welt in der Hosentasche' nennt es die c't und beschreibt eine Info-oekonomie der Netze die auf einem zweifelhaften Komplex von Macht/Wissen basiert der nichtssagende feine Unterschiede sowie erhabene Bloecke von Redundanz gepraegt ist. Niemand scheint verhindern zu koennen, dass sich gerade die verfuehrerischsten Dummheiten rasend schnell verbreiten koennen. Nicht der Zensor ist gefragt, sondern die verantwortungsvollen Benutzer, Netzkompetenz oder besser Zivilcourage im Internet kann sich nicht darauf beschraenken den Forward-Knopf zu betaetigen. Kleine Philosophie der virtuellen Freiheit: Die Abwesenheit von Zwang fuehrt nicht unbedingt dazu das es zu einer freien Entfaltung des Willens kommt, wenn dieser sich als fatalistischer Wille zur Unterwerfung entpuppt und sich kollektiv zum Willen zur Virtualitaet vereinigt. Die dualistische Trennung in eine Freiheit des Cyberspace, und eine Notwendigkeit des Materiellen scheint ebenfalls unpraktisch, da mehr und mehr Leute am Bildschirm ihr Geld verdienen muessen. Der normative Freiheitsbegriff einer individuellen Entfaltung liesse sich mit dem der eher metaphysichen Wahlfreiheit koppeln, und in pragmatisch informationstheoretischen Sinne liesse sich erklaeren, dass es nicht um die Ausnutzung sondern um die Bereitstellung der Moeglichkeit, also die Virtualitaet von Freiheit geht, Freiheitsgrade die jedem immer offen stehen, wie z.B. sozialer Abstieg, oder einen anderen Knopf druecken. Man muss bemerken dass die Freiheit die Barlow meint, nichts mit derjenigen im traditionellen oeffentlichen Raum gemein hat. Sennet, Virilio, Ronell und McLuhan folgend, hat der organlose Organismus der elektronischen Medien diesen laengst narkotisiert. Waehrend die Popularitaet politischer Massen-Demonstrationen abnahm und in gezielte global medienwirksame Aktionen 'an-stelle-von' ueberging, tut sich ausserhalb der elektronischen Einschliessungen ein wachsendes koerperbezogenes und materialistisches Bedrohungspotential auf. Wie zuletzt mit den Riots in L.A. aber auch in London demonstriert, wird im Gegenzug auf die altbewaehreten Mittel der Disziplinar- gesellschaften - Polizeiknueppel, Traenengas, Helikopter mitunter auch die Armee - zurueckgegriffen. Die Kontrolle der Koerper mittles Datenkoerper aber, verlaeuft ueber genau die 'Sphaere' die Barlow fuer unabhaengig erklaeren moechte, denn das ist sicher 'Cyberspace', wenn schon als Einheit, dann mehr als nur das Internet, sondern die Gesamtheit aller Datennetze, incl. Polizei und Finanzwesen. '..we have no fear' Waehrend die Onlinedienste grosse Zuwaechse an 'Uservieh' verzeichnen koennen, macht uns Pater Barlow auf die Funktion des Datenraums als Schutzbunker und Angstbewaeltigungsapperat aufmerksam. In Tschetschenien und Bosnien, aber auch in Oklahoma, Tokio und Jerusalem, und nicht zuletzt in den US-Amerikanischen Ghettos, berichten die 'real lethal weapons' von den unsauberen Grenzen der Virtualitaet. General Barlows Schlachtruf: "They declared war on Cyberspace" klingt ganz nach: "seit dem 9. Februar wird zurueckgeschossen." Aber im Datenraum schiesst man nicht. Wired Magazine, das californische Zentralorgan der virtuellen Klasse, beschreibt in seiner Maerzausgabe, gewohnt-sueffisant wie man dem Praesidenten von Serbien einen hochaufloesenden satellitengestuetztem Territorium-Simulator namens 'PowerBuilder' vorfuehrt, der durch das gottgleichen Auge der Cyber-Kriegsmaschine alles sieht und folglich auch zerstoeren kann. Er antwortet: 'Hier ist das Haus meiner Grossmutter'. Man ist stolz auf das virtuelle Abschreckungspotential und macht sich lustig ueber die brutale Rueckstaendigkeit des realen Krieges. "industries of flesh and steel, you have no authority were we gather" Der 'gnostische Schnitt' (Hakim Bey) in geistige und materielle Welt den Barlow so anruehrend besingt stellt das alte duale Weltbild und Herrschaftsgefuege des Kalten Krieges wieder her. Potentiell schlecht ist alles, was ausserhalb 'unserer' Netze liegt. Innerhalb sollen archaische Formen der Justiz ausreichen. 'we know how we solve our problems'. Diese Wildwest-Systemtheorie fuer die Massen, exportiert ihre Komplexitaeten ins Aussen, das Alte: Europa, industrielle Produktion, Sozialistische Altlasten, kafkaeske Buerokratie der geschichtsbeladenen Kolonialwarenstaaten aber auch Autos aus Detroit, und Ostkuesten-intellektualismus geraten zu den Plagegeistern des cyberspace-age. Es gehoert zu den beliebten Mythen des Internets das es von 'sieben Weisen' (Internet society) gegruendet und verschiedenen Geheimbuenden und Projekten (Scientology, GNN, project 2000, wired magazine, doors of perception, extropians) auf einen globalen take-off ins Imaginaere vorbereitet wird. In der Tolkien-welt-artigen Hirarchie der Hacker, hat der Wizard einen Grad an Technikverbundenheit erreicht, der es ihm ermoeglicht mit den Datenstroemen zu reden, wie der Indianer mit den Fluessen und Baeumen. "we are in conversation with the bits" , 'ganz in der Maschinensprache zu sein'. Auf dieser molekularen Ebene ist auch heute noch das Internet selbst fuer ausgemachte Experten ein Raetsel der Unberechenbarkeit und immer wieder Anlass zur Naturromantik. 'if they censor, it will rout arount it' 1969: Internet, Unix und Hippytum (samt Acid) 1996: ein Jahr nach Windows95 und dem Techno-zenith waere das Jahr in welchem die Deterritorialisierungsbewegung der Internetisierung langsam umkippte, Barlow verfolgt augenscheinlich die Errichtung eines Freistaates Internet. Die slowenische Kuenstlergruppe NSK hat vor einiger Zeit bereits einen 'virtuellen Staat' gegruendet, mit ganz eigenen gewaltsamen Erfahrungen von Staatenbildung und Staatenaufloesung. Nach aller missglueckter Metaphorik um Autobahnen und Staedte im Netz scheint jetzt ein Grad an Uebertragung erreicht dem man nicht mehr auf die leichte Schulter nehmen kann. Kann es sein dass ein technischer Standard ausreicht um eine kosmopolitische 'world-nation' zu gruenden? Wieso gibt es dann keine 'telephone-nation'? Fuer eine Nationenbildung ist die Berufung auf ein unhinterfragbares Naturrecht zweckreich, Prophet Barlow spricht wiederholt vom Netz als Natur. Bei einer verbreiteten Version von Netzwahn geht es bereits heute um den Glauben man habe es mit einer neue digitalen Lebensform und nicht mir einer Metapher fuers noch ungewohnte zu tun. Hier mischen sich New-Age Ideologien und Maennerallmachtsphantasien zu einer neuen Abart von Vitalismus, der im technischen Fortschritt ein Naturprinzip walten sieht, bei dem es unter anderem Ziel sei die Koerper zu verlassen und Geistwesen zu werden, eine ganze Gesellschaft des Geistes. Netzprophet Barlow, der frueher einmal Religionswissenschaften studierte, sah es bisher nicht fuer noetig sich von seiner tendenzioesen Predigt zu distanzieren. Er selbst versuchte sich in zwei bis drei kaerglichen Stellungnahmen auf dem Netz herauszureden, indem er seine Ausfuehrungen 'nur eine Idee' und 'extrem spekulativ', zu nennen, um damit die Sache nur umso zweifelhafter zu machen: Als ehemaliger Lyriker haetter er sich auf die Autonomie der Kunst berufen koennen um die Unabhaengigkeitserklaerung des Cyberspace zu einer Art von Gedicht zu erklaeren, so aber zeigt er nur umso deutlicher die Gefahr einer neuen Art von Techno-Ideologie fuer die Massen, in der es um unumstoessliche Ueberlegenheiten, das Ansprechen niedriger Instinkte und vor allem ein neues diffuses Gemeinschaftsfefuehl geht, dass sich dreist den verschiedensten Mythen bedient um sich einen Nimbus unhinterfragbarer Erhabenheit und mysthischen Metaphysik zu geben. Die Autonomie von der Barlow uns zu faszinieren versucht hat vielerlei Wurzeln, einerseits ist es die Abgeschlossenheit der Touringmaschine, das geschlossene System eines Algorithmus der nur Daten und abstrakte Programmzustaende kennt, welcher sich hier kollektiviert. Weiterhin ist es die alte Utopie von der Republik der Interlektuellen, jene Geistesarbeiter in Akademia, im Glauben die Welt zu regieren. Wie jede Ideologie hat auch Cyberspace eine eigene Sphaere der Unangreifbarkeit und ist darin einer Wahnidee nicht ganz unaehnlich. Es mag verschiedene Stadien geben von denen der kollektive Glaube an die Unabhaengikeit des Cyberspace wahrscheinlich die groessten Risiken in sich traegt. Als Dichter und Vordenker geht es Barlow darum den umgekehrten Weg von der Realitaet ins Imaginaere zu gehen um dem nun Raetselhaften auf neue Weise einen alten Namen zu geben. Und so ward es 'Cyberspace'. Da es hier um Begriffe des Territorialen geht, hat Barlow zugleich einen neuen Kontinent entdeckt, Cyberamerika, einen der zwar nur ungenuegend beschrieben ist, wenn man ihn in raeumlichen Begriffen denkt, aber zumindest ueberaus zweckreich um kollektive Wunschstroeme zu buendeln, wie das bei den Kreuz und Pilgerzuegen, Apollo-missionen und anderen grossen Aufbruechen der Fall ist. Einem Zuviel an Freiheitsgrad wird eine heroische Mission gegenuebergestellt, das Interesse liegt darin, die 'digitale Revolution' gewinnbringend umzulenken und es eben nicht zu einer Umwertung aller Werte kommen zu lassen. Was treibt uns in die Netze? 'the desire to be wired', der Wille zur Virtualitaet (Arthur Krokers Update zu Nietzsches Unvollendetem) bezieht sich auf ein dynamisches Wortfeld um Information, Geist, Virtualitaet, Potentialitaet, Kraft, Energie, Begehren. Kommende Legionen von Kulturwissenschaftlern, Ethnographen, Soziologen und nicht zuletzt Philosophen werden den geistigen Ueberbau zusammenzimmern, der schon laengst als 'ready made' bereit steht. 'Das Internet hat die franzoesische postmoderne Theorie auf den Boden zurueck gebracht' (Sherry Turkle) Es fragt sich auf welchen Boden. Aus der kybernetisch-vergeistigten Meta-Oekologie Gregory Batsons (Information ist jeder Unterschied der einen Unterschied macht) kolonisiert die amerikanische Netzmoderne das kommende Volk einer sich im virtuellen Raum in many-to-many Wettbewerb abrackernden Gesellschaftsform die sich immerwieder auf den unstillbare Pioniergeist einer nomadischen Technik-Avantgarde stuetzt. Das Netz wird zum Naturzustand erklaert und eine verwissenschaftlichte Metaphernpolitik, entdeckt ein Leben zweiter Ordung in den Speichern der Computer und im Netz insgesamt. Dieser Neo-Vitalismus kann die Freude der Jungegesellen Anschluss an den Reproduktionsapperat des digitalen elan-vital gefunden zu haben nur schlecht verdecken. Das alte protestantische und esoterische Gepaeck der Pilgervaeter liefert die Tradition fuer ein sowohl dem derilierenden Info-Capitalism wie auch einer naturbefohlenen 'aquarius conspiracy' verpflichteten kommenden spirituellen Zeitalters und digitaler Wertschoepfung. Es erinnert an eine ganzen Reihe von Ueberwindungsphantasien, von Nietzsche und Juenger bis hin zu Foucault. "you don't know where we ve' been" Die Netzmoderne dient als Garant 'dieses kommenden Volkes' Analog den 'neuen Rechten' sieht man den Kulturkampf als entscheidendes strategisches Element. 'dominate culture today and you control the laws in 15 years' (Zitate gekuerzt u. zusammenfasst) (vgl. Spex 5/96) # Pit Schultz, Kleine Hamburger Str. 15, 10117 Berlin, pit@contrib.de