Andreas Kallfelz on Wed, 31 May 2000 17:09:45 +0200 (CEST) |
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<nettime> Diskussionspunkte Tulipomania Dotcom, Frankfurt, 4. Juni 2000 |
Die weiterentwickelte Form der kapitalistischen Wirtschaft auf globaler Ebene, die so genannte "New Economy", ist gekennzeichnet durch fortschreitende Vernetzung von Produktion, Distribution, Konsum und Kommunikation sowie durch einen erhöhten Innovationsdruck. Doch das Erfolgsbild der New Economy zeigt erste Risse. Die Finanzmärkte, die aufgrund optimistischer Erwartungen einen starken Boom erlebten, werden mit spekulativen Überbewertungen konfrontiert. Instabilität und unterschwellige Krisenhaftigkeit kennzeichnen die aktuelle Situation. Wird man in einigen Jahren noch von einer "New Economy" reden, oder wird man sie nur noch als spezifisch gefasste Phase der kapitalistischen Wirtschaftsentwicklung sehen, analog zur wiederholten Verkündung vom Ende der Industriegesellschaft? Wie wird diese Entwicklung künftig verlaufen und welche Alternativen stehen offen? Bestandsaufnahme Wie hat sich die New Economy herausgebildet und wie wird sie sich - etwa in der Form des Neuen Marktes - in der nächsten Zeit weiter entwickeln? Hierbei besteht - auch über das Moment der Vernetzung - ein enger Zusammenhang zwischen Finanzmärkten und technologisch basierter Neuformation des Wirtschaftsystems und seiner Kommunikations- und Vertriebswege. Politisch-ökonomische Macht geht zunehmend auf die Akteure der globalisierten Finanzmärkte über, deren strategische Zentren in den metropolitanen Knotenpunkten der vernetzten Wirtschaftsräume Nordamerika, Westeuropa und Ostasien angesiedelt sind. Finanzmärkte und New Economy hängen in dieser Hinsicht zusammen und verstärken sich in ihrem Einfluss wechselseitig. Dabei unterliegen auch die Finanzmärkte selbst, durch Dezentralisierung, Rund-um-die-Uhr-Aktivität, neue Zugänge für private Anleger und verstärkte öffentlich-mediale Präsenz Transformationen, die ihre Stabilität infrage stellen. So sind laufende Fusionen und Unternehmenskäufe nur das Spiegelbild verschärfter Konkurrenzbedingungen bei gleichzeitiger Marktkonzentration. Was sind die Kosten? Sind die aus digitaler Vernetzung zu erwartenden Produktivitätssteigerungen nur selektiv wirksam? Führen sie zu neuen ökonomischen und sozialen Ungleichgewichten? Die Frage läßt sich ebenso auf mikro- und makroökonomischer wie auf sozialer, psychologischer und kultureller Ebene stellen. Die Herausbildung neuer gesellschaftlicher Schichten und Klassen, verstärkte ökonomische und politische Ungleichgewichte auf internationaler Ebene, aber auch ein erweiterter Zugriff der ökonomischen Logik auf den privaten Bereich, begleitet von entsprechenden Verwerfungen auf den Arbeitsmärkten sind zu konstatieren. Inwiefern wird die laufende Flexibilisierung und Anpassung der Lebenswelten zu neuen politischen Spannungen führen? Die Ökonomisierung nicht nur des Internets sondern zunehmend auch der gesamten öffentlichen Kultur könnte, wenn sie noch weiter fortschreitet, die aufklärerisch gefaßte Idee einer globalen Kultur pervertieren. Droht die globale Uniformierung die lokale Vielfalt der ökonomischen, sozialen und kulturellen Strukturen zu zerstören? Ökonomische und öffentliche Alternativstrategien Am Ball bleiben oder aussteigen? Wird die Neue Wirtschaft wirklich zum dominierenden Modell? Ist die Entwicklung unumkehrbar, oder gibt es Einflussmöglichkeiten und erfolgversprechende Gegenstrategien? Auf zivilgesellschaftlicher Ebene, autonom organisiert, oder im Sinne staatlicher Regulierung, z.B. bei der Einschränkung spekulativer Attacken auf den internationalen Finanzmärkten. Wie kann eine öffentliche Diskussion aussehen? Technologisch betrachtet sind solche Netzarchitekturen, die alternative soziale und inhaltliche Schwerpunkte aufrechterhalten oder herausbilden, dringend gefragt. Welche Chancen haben sie in einem System, in dem die wirtschaftlichen Machtzentren ihren Zugriff auf das Netz immer weiter ausdehnen und es ihren strategischen Bedürfnissen kommerziell und juristisch anpassen? # distributed via <nettime>: no commercial use without permission # <nettime> is a moderated mailing list for net criticism, # collaborative text filtering and cultural politics of the nets # more info: majordomo@bbs.thing.net and "info nettime-l" in the msg body # archive: http://www.nettime.org contact: nettime@bbs.thing.net